Was ich dir noch erzählen wollte...

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Alinea
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Was ich dir noch erzählen wollte...

Beitrag von Alinea »

Ich habe mich oft gefragt, ob das nicht doch zu viel für dich gewesen ist. Ob ich dir zu viel Kummer bereitet habe. Damals dachte ich nicht darüber nach, aber jetzt weiss ich, dass Kummer einen Menschen töten kann.
Vielleicht ist das ja der Grund, aus dem ich jetzt hier stehe. Ich weiss es nicht.

Es hat mich einige Mühe gekostet, deine Hütte nach all den Jahren wiederzufinden. Und es hat mich um einiges erstaunt, dich dort zu sehen. Lebend.
Mein schlechtes Gewissen war unbegründet. Du hast dich nicht umgebracht. Ich weiss nicht, ob ich das gut finden soll.
Es gab vielleicht eine Zeit, da hasste ich dich wirklich, aber die ist vorbei. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, was ich von dir halte, aber ich denke, ich verstehe dich. Und vielleicht war dein Verhalten – auf irgendeine Weise – sogar richtig.
Trotzdem habe ich nie etwas bereut.


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Kleine Sidestory meinerseits. To be continued.
A cloud of mystical dust appears, shrouding Alinea in its magic. You roll a four. The cloud dissipates and Alinea is gone.

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Alinea
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Re: Was ich dir noch erzählen wollte...

Beitrag von Alinea »

„Vater, wo gehen wir hin?“
Ich weiss noch genau, was du damals geantwortet hast: „Pilze sammeln.“, hast du gesagt. „Im Wald. Macht das nicht Spass?“
„Warum kommen Andreas und Peter nicht mit?“
„Sie müssen deiner Mutter helfen.“
Damals habe ich dir geglaubt.
Ich weiss noch, dass ich Angst hatte, aber nicht wegen dem Wald oder weil wir so ganz alleine losgingen. Sondern wegen der Flecken, die sich auf meinem Arm gebildet haben. Geschwungene Linien, die sich über meinen Körper zogen.
Ich hätte dich gerne danach gefragt, aber ich traute mich nicht. Du hattest selbst solche Male. Mutter hat immer gesagt, die beiden roten Flecken in deinem Gesicht stammten von einer Krankheit. Aber ich wusste, dass unter den Handschuhen, die du stets trugst, noch mehr verborgen waren. Einmal habe ich dich danach gefragt, aber du schaltst mich einen Dummkopf und erklärtest, deine Hände seien ganz normal, wie meine auch. Zum Beweis zogst du einen Handschuh aus und zeigtest mir die weisse Haut darunter.
Ich war mir aber sicher, mich nicht getäuscht zu haben. Ich hatte die Male gesehen. Als ich einmal nicht schlafen konnte und mich zu dir und Mutter schleichen wollte. Du warst noch wach, trugst nur das lange Hemd, das du zum Schlafen benutzt hast, und ich konnte die dunklen Flecken sehen, die sich deinen Arm hochzogen.
Jetzt hatte ich selbst Male bekommen, und ich hatte Angst. Würde ich jetzt krank werden? Sollte ich mir Handschuhe anziehen?

Vor einer Woche hat es angefangen. Ich konnte kaum noch schlafen, der Schlaf stellte sich einfach nicht ein. Dann hat Mutter sich angefangen Sorgen zu machen, weil ich ohne meinen Mantel nach draussen ging, obwohl es doch noch nicht ganz Frühling ist. Und dann haben sich diese Linien auf meiner Haut gebildet.
Erst waren sie blass, wie Schatten von Zweigen. Dann wurden sie immer dunkler und kräftiger, bis sie leuchtend dunkelblau waren. Meine Haare bekamen einen Blaustich.
Ich weiss noch, dass du und Mutter euch in dieser Zeit gestritten habt. Damals habe ich das nicht verstanden, aber jetzt weiss ich, dass es wegen mir war.
Und dann, eines Morgens, hast du mich früher geweckt und mir gesagt, ich solle mitkommen. Wir gingen nach draussen, ganz ohne Mantel, und liefen zum Wald. Du gingst so rasch, dass ich fast rennen musste, um mitzuhalten.
„Was für Pilze sammeln wir?“, erinnere ich mich, gefragt zu haben. „Mutter sagt mir immer, ich solle sie auf keinen Fall essen, bevor sie sie angeschaut hat.“
„Das ist richtig.“, hast du gesagt. „Manche Pilze machen dir Bauchweh.“
Ich griff nach deiner behandschuhten Hand, wie ich es schon so oft getan hatte, doch du zogst sie zurück. Du hobst mich auch nicht auf seine Schultern und lachtest dabei. Du sahst traurig aus.
„Bist du traurig, Vater?“, fragte ich besorgt und fasste dich tröstend an den Arm, wie Mutter es bei mir immer machte, wenn ich traurig war. Ich musste mich dazu auf die Zehenspitzen stellen, was im Gehen gar nicht so leicht war, aber ich wollte dich unbedingt trösten.
„Nein, nein.“, beschwichtigtest du mich. „Ich habe nur überlegt, was für Pilze wir sammeln wollen.“

Auf der Wiese hinter unserem Haus lagen noch vereinzelte Schneeflecken, doch der Wald schien den Winter bereits abgeschüttelt zu haben. Damals liebte ich es, durch den Wald zu gehen. Die vielen verschiedenen Düfte, das schummerige Licht. Auf dem Boden lag eine dicke Schicht Tannennadeln, die beim Gehen etwas nachgab, sodass sie sich wie eine grosse Matratze anfühlte.
Ich spähte umher, konnte aber keine Pilze entdecken. „Siehst du etwas?“, fragte ich dich, doch du hast nur vor dir zu Boden geschaut. „Du siehst dich ja gar nicht um.“
„Doch, natürlich.“ Endlich hast du gelächelt. Dann machtest du ganz grosse Augen und hast umhergespäht. „Hierher, Pilzpilzpilz, komm zu mir!“
Ich musste kichern und begann ebenfalls „Hierher, Pilzpilzpilz“ zu rufen. Doch die Pilze wollten nicht kommen. Wir gingen immer weiter, während der Tag immer heller wurde und immer weiter voranschritt.

Auf einmal bemerkte ich, dass ich nicht mehr wusste, in welcher Richtung unser Haus lag. „Wo sind wir?“, fragte ich dich. „Wo geht es nach Hause?“
„Ach, einfach immer in diese Richtung.“, hast du nur geantwortet und irgendwo zwischen die Bäume gedeutet. Wir überquerten einen kleinen Bach und kletterten eine Böschung hoch, mussten eine Schlucht umgehen und einmal hobst du mich über einen umgestürzten Baumstamm. Nach Pilzen riefen wir nicht mehr.

Wir erreichten eine kleine Hütte, die von den mächtigen Bäumen schier erdrückt wurde. Sie ist mir zuerst gar nicht aufgefallen, aber dann hast du die Tür geöffnet. Das Quietschen war fürchterlich laut im stillen Wald.
Das fand ich furchtbar aufregend. Ich stellte mir vor, dass vielleicht kleine Wurzelmännchen dort lebten, Wurzel-Vater und Wurzel-Mutter mit Wurzel-Andreas und Wurzel-Peter und Wurzel-Karin.
Doch das Hüttchen war leer. „Was ist das für ein Haus?“, wollte ich wissen.
„Hier hat ein Freund von mir gelebt.“, lautete die Antwort.
Da war ich verwirrt. Ich wollte wissen, was denn ein Freund sei, und du sagtest: „Das ist jemand, den man mag.“
Ich weiss heute, dass ein Freund sogar noch viel mehr ist, aber damals war ich mit dieser Antwort zufrieden. Ich wusste, wer meine Freunde waren: Du und Mutter, Andreas und Peter.
„Wo ist denn dein Freund?“, wollte ich dann wissen, und du meintest nur, er sei schon lange fort. Du hast mit mir Verstecken gespielt, in dem Hüttchen und im Wald, bis es dunkel wurde.
„Jetzt ist es spät.“, hast du dann bestimmt. „Wir schaffen es nicht mehr heim.“
„Und jetzt?“
„Jetzt übernachten wir hier.“, meintest du nur, als wäre das selbstverständlich. „In der Hütte hat es zwei Betten. Und morgen gehen wir dann heim.“

Wir gingen nicht heim. Du meintest, wir sollten erst die Matratzen mit frischem Moos füllen. Das hat mir nicht gefallen, der Stoff der Matratzen war ganz kratzig und mich juckte es immer noch überall, weil ich darauf geschlafen habe. Ich wollte möglichst schnell heim.
„Das sind wir meinem Freund schuldig.“, hast du nur gesagt und mir einen Korb in die Hand gedrückt. „Geh Moos sammeln. Ich wische derweil die Erde aus der Hütte.“
Da hätte mir klar werden müssen, dass du nicht vorhattest, so schnell wieder nach Hause zu gehen. Aber ich habe dir geglaubt. Damals habe ich dir geglaubt.
A cloud of mystical dust appears, shrouding Alinea in its magic. You roll a four. The cloud dissipates and Alinea is gone.

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